Der 14. Juli 2021 wird Eingang in das kollektive Gedächtnis nicht nur der Swisttaler:innen und Swisttaler finden. Eine ganze Region incl. des Ahrtals wird diesen Tag nicht mehr vergessen. Über das unvorstellbare Ausmaß der Zerstörung brauche ich nichts mehr berichten. Dazu gab es zahllose Dokumentationen, Fotos und Filme. Ich möchte jedoch über die große Welle der Hilfsbereitschaft berichten, die sofort einsetzte. Zunächst half sich die Nachbarschaft untereinander. Die ersten Aufräumarbeiten wurden in einigen Orten jäh unterbrochen, mussten diese doch evakuiert werden, wie z.B. Odendorf. Der Damm einer Talsperre drohte zu brechen. Die fast fünf Tage der Abwesenheit wurden jedoch gut genutzt. Erste Hilfenetzwerke fanden zusammen, die sofort aktiviert wurden, als man zurück in die Häuser und Wohnungen durfte. Die Bewohner*innen, die in den Hotspots wohnten, mussten länger ausharren, da die Gebäude auf eine mögliche Einsturzgefahr untersucht wurden. Das strapazierte gewaltig die Nerven, zumal nach einigen Tagen klar wurde, dass manche nie wieder in ihr Haus zurückkehren durften. Das klägliche Management der Verwaltung während der Flut und in den Tagen danach zeigte, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten.
Die Ausgangssituation sah so aus:
• Kein Strom, kein Telefonnetz, kein Trinkwasser, kein warmes Wasser
• Zerstörung öffentlicher Infrastruktur wie Straßen und Brücken
• Neben den zahlreichen privaten Immobilien wurden zahlreiche öffentliche (Rathaus, Schulen, Sporthallen und Sportplätze) oder gemeinnützige Gebäude (Kindergärten, Dorfhäuser, Kleiderstuben) massiv beschädigt; der Schaden wird auf 90 Millionen allein am kommunalen Eigentum geschätzt.
• Umweltschäden durch Ölverschmutzung etc., Schäden in der Natur wie Orbachaue, Alleen etc.
• Zerstörte Ortskerne (die Versorgungsstruktur ist immer noch nicht optimal. In Heimerzheim war fast jedes Geschäft betroffen; mittlerweile helfen sich Gewerbetreibende mit dem Aufbau von Containern, um so die Zeit bis zur Wiedereröffnung zu überbrücken)
Über die materiellen Schäden darf man die Menschen nicht vergessen, die durch die Fluten getötet oder schwer verletzt wurden. Immer noch sind Erwachsene und Kinder traumatisiert; ein Regenschauer kann da schon Panikattacken auslösen. Schnell wurde erkannt, dass ohne weitere Hilfe, der Wiederaufbau nicht gelingen kann bzw. sehr lange dauern würde. Neben den zahlreichen Helfer*innen, die mit Eimer und Schüppe anreisten, rückten auch „offizielle“ Organisationen an: die Feuerwehr (auch überregional), das THW, die Bundespolizei und die Bundeswehr.
Hilfe von außerhalb
Muskelkraft und Geld Am zweiten Wochenende nach der Flutwelle lief die Hilfe-Maschinerie wie geschmiert. Das war zum großen Teil auch ein Verdienst von Menschen, die von außerhalb zu Hilfe eilten. Diese hatten den Kopf frei, verschafften sich schnell einen Überblick und packten einfach an, ohne zu diskutieren. Keine Herausforderung wurde gescheut. Mittlerweile hatten sich in den meisten Orten Hilfezentren gebildet, die die Kräfte bündelten und organisierten. Unkompliziert wurden auch Spendenkonten eingerichtet. Die AWO Swisttal gehörte dabei zu den ersten Organisationen. Ich weiß nicht, wann Christian Wiesner das erste Mal Kontakt mit seinem ehemaligen Heimatort aufnahm. Er gehörte jedoch mit zu den ersten, die Sach- und Geldspenden sammelten. Und das war keine Eintagsfliege. Wichtig waren dabei die Kontinuität und Ausdauer, die Christian an den Tag legte. Er hat die Billerbecker*innen dazu motiviert, dass diese die Unterstützung der Swisttaler*innen als ihre Aufgabe angenommen haben. Dieses beständige Engagement war und ist wichtig. Denn mit jedem Tag, der ins Land ging, wurde klar, dass es mit Aufräumen allein nicht getan ist, selbst bei Häusern, die noch standen. Durch den Dreck, den der Orbach und die Swist mit sich führten, waren die gefluteten Häuser verseucht. Das bedeutete in den meisten Fällen, die Gebäude in den Rohbau zurückzusetzen. Die wenigsten hatten jedoch eine Elementarversicherung, weder für das Gebäude noch für den Hausrat. Für viele zeichnete sich ab, dass sie ohne fremde Hilfe nie diesen Berg an Ausgaben bewältigen konnten.
So hat die AWO geholfen
Zwar griff schnell die Soforthilfe des Landes NRW. Diese betrug jedoch maximal 3500 Euro und reichte damit gerade mal für die Deckung der ersten Kosten. Nachdem die ersten Spenden auf das AWO-Konto eingegangen waren, fingen wir mit der Verteilung der Gelder an. Zunächst guckte jeder in seinem Umfeld, wo finanzielle Hilfe benötigt wurde; später griffen die unterschiedlichen Netzwerke ineinander. Kriterium dabei war und ist, dass mindestens eine Elementarversicherung fehlt und kein finanzielles Polster vorhanden ist. Um das zu beurteilen, gehen wir jeden Betroffenen besuchen und reden mit diesen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Gespräche oft wichtiger sind als die eigentliche Spende. Viele fühlten sich von der Verwaltung im Stich gelassen und bekamen von uns den ersten Besuch. Wir hörten uns die berührenden Geschichten an; manche Träne wurde dabei vergossen. Und immer wurde deutlich, dass offene Ohren und Arme wichtig sind, um zu zeigen, dass man nicht vergessen ist. Die Freude über das Gespräch und das Geld ist überwältigend. Es ist ein Zeichen der Hoffnung. Denn mit jedem Betrag kann man einen weiteren Baustein in Angriff nehmen und einen Schritt weiterkommen. Je nach Größe des Haushalts (Familien mit Kindern, Rentner, Alleinstehende, Alleinerziehende) werden zwischen 500 und 1000 Euro verteilt. In größeren Notlagen konnten wir auf spezielle Quellen von Christian zurückgreifen; außerdem gibt es im Ort einen Großspender, der jedoch anonym bleiben will. So hatten wir bisher ein gutes finanzielles Polster. Alle AWO-Helfer*innen vor Ort arbeiten ehrenamtlich. So kommt jede Spende ohne Verwaltungsgebühren bei den Betroffenen an. Die Billerbecker*innen haben mittlerweile fast 60.000 Euro an die AWO gespendet; nicht zu sprechen von den weiteren (finanziellen) Hilfen, die direkt aus der Billerbecker Region an Einrichtungen und Organisationen etc. geflossen sind. Nachdem klar ist, dass trotz Aufbauhilfe 20 Prozent der Ausgaben selbst zu zahlen sind, werden weiterhin Spenden gebraucht. Denn die Hilfe zum Hausrat und zur Gebäudesanierung ist gedeckelt. Teilweise wird lediglich der Zeitwert erstattet und nicht eine Neuanschaffung (das am Rande: bisher ist uns auch noch niemand bekannt, der die Aufbauhilfe bekommen hätte). Das bedeutet, dass zahlreiche Betroffene sich verschulden müssen. Für einige wird es jedoch schwierig werden, einen Kredit zu bekommen.
Was wir zukünftig brauchen werden
Zurzeit läuft die Phase der Grundsanierungen. Nach der Trocknungsphase müssen die Häuser innen und außen repariert und/oder renoviert werden. Noch immer gibt es Haushalte ohne funktionierende Warmwasserversorgung, Strom etc. Das bedeutet, dass Bewohner*innen im Winter ohne Zentralheizung auskommen müssen. In den Orten ist tagsüber viel emsige Betriebsamkeit. Das ist ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass man vorhat, in der Region zu bleiben. Eine Schwierigkeit ist jedoch der Mangel an Handwerkern und damit oftmals verbunden vergriffene Geräte, Rohstoffe etc. Für viele wird es daher erst im Frühjahr oder gar Sommer möglich, Wohnungen und Häuser einzurichten. Dann kann erst auf die Vielzahl an Sachspenden zurückgegriffen werden. Denn in den zerstörten Gebäuden kann nichts gelagert werden. Nach unserer Beobachtung werden dann gebraucht:
• Inneneinrichtung (Möbel, Teppiche, Küchen etc.)
• Küchengeräte, Werkzeug o.ä.
• Weiße Ware wie Waschmaschinen, Trockner
• Kleidung
• Kellereinrichtung
• Gartenmöbel
• Gartengeräte
• Sachen für Kinder (Spielzeug, Kleidung etc.)
Eine Herausforderung wird sein, diese Sachen zwischenzulagern, um diese dann nach und nach zu verteilen. Nach wie vor wird Geld benötigt, um die Eigenanteile zu finanzieren. Eine Herausforderung wird sein, diejenigen aufzufinden, die bisher durch jedes Hilferaster gefallen sind. Denn auch das gibt es: diejenigen, die gut vernetzt sind, sind deutlich weiter mit dem Wiederaufbau als die, die keine Netzwerke haben oder sich schämen, Hilfe anzunehmen. Für die AWO vor Ort gibt es eine weitere Aufgabe: die Kleiderstube in Heimerzheim, die direkt an der Swist liegt, wurde durch die Fluten innen wie außen stark beschädigt. Eine Elementarversicherung wird einen großen Teil der Kosten übernehmen, aber längst nicht alles. Für uns wird es in der nächsten Zeit darauf ankommen, die Kleiderstube wieder zu einem Ort der Begegnung und der Hilfe aufzubauen.
Fazit:
• Ohne tatkräftige und finanzielle Hilfe von außen wären wir noch nicht soweit mit dem Wiederaufbau
• Vieles muss in Selbstorganisation und Eigeninitiative erfolgen; wer auf öffentliche Unterstützung wartet, wartet meist lange oder vergeblich.
• Die Infopoints in den Orten mit ihren zahlreichen ehrenamtlichen Helfer*innen funktionieren nach wie vor gut, auch wenn sich die Aufgaben gewandelt haben.
• Es wird noch Jahre brauchen bis die Spuren der Flutkatastrophe beseitigt sind. In unserem kollektiven Gedächtnis werden die Bilder immer verbleiben.
• Deswegen ist weiterhin kontinuierliche Unterstützung erforderlich.
Trotz allem gibt es auch Positives, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: die spontane, selbstlose Hilfe aus dem In- und Ausland. Diese führte zu nachhaltigen Verbindungen, Freundschaften und dem Gefühl, dass man sich auf die Mitmenschen in Notsituationen verlassen kann. Das ist ein Wert, den uns niemand nehmen kann.
Unser AWO-Team ist immer noch sprachlos angesichts der großen Hilfe, die die Billerbecker*innen (und die Region) geleistet haben. Wir hoffen, dass das Band zwischen den Kommunen noch enger werden wird.
Für die AWO-Swisttal berichtete Gisela Hein, Vorstandsmitglied und Beauftragte zur Fluthilfe